„Ein Virus im Dorf“ – Pfarrer Friedl Kaufmann berichtet … (Bericht #6)

„Ein Virus hat unser aller Leben verändert. Die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Ausbreitung getroffen wurden, bestimmen nun unseren Alltag. Jede Person macht ihre eigenen Erfahrungen – Erfahrungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

 

In Zusammenarbeit mit Georg Sutterlüty haben wir ein Projekt gestartet. Wir wollen wissen, wie Eggerinnen und Egger (sowie einzelne BregenzerwälderInnen umliegender Gemeinden) mit der Krise umgehen: Was hat sich in ihrem Leben verändert, welche Herausforderungen gibt es und was erhoffen sie sich nach Beendigung dieser schwierigen Phase? Wir haben ganz kunterbunt nach Personen gesucht, die bereit sind, ihre persönliche Geschichte zu schildern. Wir beginnen mit dem ersten Bericht und wollen jeden zweiten Tag den nächsten veröffentlichen.

 

Bereits veröffentliche Berichte werden von uns ins Archiv verschoben, sind aber weiterhin hier für euch verlinkt:

 

Bericht 5: Jürgen Zengerle (29), Krankenpfleger in KH Dornbirn, Hof

Bericht 4: Lisa Schmidinger (28 Jahre), Krankenpflegerin, Wohnort Schmarütte

Bericht 3: Wilhelm Sutterlüty (63), Geschäftsführer Sozialzentrum Egg, Schmarütte

Bericht 2: Marcel Simma , Schüler der HTL Dornbirn, Stadel

Bericht 1: Brigitte Bereuter (40), Gemeindeangestellte, Mutter und Hausfrau, Rain

 

Kommentare sind erwünscht, doch bitten wir aus Rücksicht auf die Autoren, den vollen Namen sowie den Weiler, in dem ihr wohnt, anzugeben.“

 

Bericht 6: Friedl Kaufmann: Alleine – und doch in großer Verbundenheit

Die Karwoche steht vor der Tür – und es fühlt sich dieses Jahr so anders an, weil gerade diese Woche etwas Besonderes und für mich eigentlich die schönste Woche im ganzen Jahr ist. Traditionen, Symbole, Rituale hatten da einen fixen Platz. Das gemeinsame Vergegenwärtigen von Tod und Auferstehung Jesu hatte eine Kraft in sich – und daraus wird Ostern.

 

Dieses Jahr ist es anders. Als ich Anfang Februar mit dem Egger Kirchenchor in Rom war, und bei unserer Ankunft Fieber gemessen wurde, haben wir das mit Humor, aber nicht ernst genommen. Wir erlebten gesellige, interessante Tage in der heiligen Stadt. Dass kurze Zeit später der Corona-Virus solche Auswirkungen haben würde, war für mich denkunmöglich. Mitte März – die Romreise war gerade vier Wochen her – wurden alle Gottesdienste abgesagt. Meines Wissens hat es so etwas in der ganzen Kirchengeschichte noch nie gegeben. Mit etwas Schwermut war ich am 11. März beim Abendlob in der Kirche – mit dem Wissen, dass es für längere Zeit der letzte Gottesdienst sein werde. Dass es sich über Ostern hinausziehen wird, wollte ich mir damals noch gar nicht vorstellen.

 

Von einem auf den anderen Tag ist der Kalender leer geworden. Im Pfarrhaus ist es ruhig geworden. Vieles von dem, was Kirche und Pfarre ausmacht, kann momentan nicht sein. Weil für Kirche und Glaube doch ganz wesentlich Begegnung und Beziehung ist. Aber ich musste mich mit dieser Situation arrangieren. Der Tag braucht eine Struktur, mit schönen Arbeiten und mit solchen, die man schon lange tun sollte, aber dann doch eine Ausrede gefunden hat, es nicht zu tun. Die Spaziergänge sind länger geworden, die kurzen Begegnungen dabei wertvoll – und das tut gut.

 

Aber die Gemeinschaft in und um die Kirche vermisse ich. Fast jeden Tag stehe ich in der Kirche und fülle sie gedanklich mit ganz unterschiedlichen Menschen. Da merke ich dann auch eine große innere Verbundenheit. Taufen, Hochzeiten, Familienfeiern sind nicht möglich. Beerdigungen können nur im engsten Familienkreis direkt am Grab stattfinden – und das große Getragensein von Mittrauernden wird nicht auf gewohnte Art und Weise spürbar.

 

Das Gebet mit Papst Franziskus Ende März auf dem leeren Petersplatz mit dem Sondersegen „Urbi et orbi – der Stadt und dem Erdkreis“ (normalerweise gibt es diesen Segen noch an Weihnachten, an Ostern und nach einer Papstwahl) hat die Realität vor Augen geführt: Der leere Platz.

 

Ich erlebe auch in diesen Tagen bei einigen Telefonaten diese Leere, die Einsamkeit, die Sehnsucht nach der Familie, nach Enkeln … Ohnmacht und viele Fragen stehen im Raum, auch Angst vor der Zukunft mit den Fragen von Beruf und Arbeit.
Das Gottvertrauen – auch das erlebe ich in diesen Tagen neu, anders als vorher. Kerzen werden angezündet, die Kirchenglocke lässt uns innehalten. In den Häusern hat der Glaube teilweise einen neuen Platz gefunden. Das Suchen nach neuen Ritualen kann dem Glauben neue Kraft geben. Da ist aber auch das Wissen um das Getragen-Sein von einer größeren Gemeinschaft, die sich momentan nicht treffen kann.

 

Die Wertordnung – vielleicht lernen wir angesichts der aktuellen Lage wieder neu und tiefer, was wichtig ist und was nicht, worauf es ankommt und was im Leben zählt. Familien mussten sich neu organisieren, die Schulen sind geschlossen. Das kann auf der einen Seite herausfordern und Nerven kosten, auf der anderen Seite ist da Zeit füreinander und so manches Erlebnis, das mit Dankbarkeit erfüllt.

 

Die Karwoche steht vor der Tür – und es fühlt sich dieses Jahr so anders an, weil gerade diese Woche etwas Besonderes war und für mich eigentlich die schönste Woche im ganzen Jahr ist. Momentan weiß ich noch nicht, wie Osterstimmung aufkommen kann … ohne Gemeinschaft. Aber gerade in diese Woche bündelt sich das Leben mit dem Blick auf Jesus – von der Gemeinschaft beim Abendmahl bis zum Dienst füreinander bei der Fußwaschung, vom einsamen Gebet am Ölberg bis zu Kreuztragen, von Ohnmacht und Zweifel bis zu Auferstehung und Ostern.

 

Dankbar bin ich auf für die verschiedensten spirituellen Angebote in den Medien. Auch auf der Homepage der Pfarre ist eine gute Auswahl an Impulsen, damit Ostern werden kann – trotz Corona, damit wir Auferstehung erleben können – trotz allen möglichen Einschränkungen, damit der Auferstandene uns begegnet und sich uns der Blick auf eine gute Zukunft auftut.

 

Friedl Kaufmann, Pfarrer von Egg und Großdorf

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