„DerStandard“: Tolles Interview mit Toni Innauer

Dieses Interview von Manfred Rebhandl fanden wir in der österr. TZ „Der Standard“

 

 

Herr Innauer, was bewegt die Welt und die Tiroler?

 

 

„12 Tiroler“ statt „5 Tibeter“: Die Sport-Legende Toni Innauer hat ein Buch mit Bewegungsübungen für „Körper und Seele“ geschrieben. Ein erstaunliches Skype-Interview.

 

 

Als wären die Zeiten nicht hart genug, ist Toni Innauer in diesen Tagen auch noch Strohwitwer. Doch Sohn Mario wohnt in der Nähe und versorgt den Papa mit Kulinarischem. Gestern gab’s einen „schönen Fisch“, heute „irgendwas mit Nudeln“. Davor hat er noch Zeit für ein Skype-Interview mit dem STANDARD.

 

 

Toni Innauer: Sehen Sie mich?

 

STANDARD: Ich sehe Sie nicht, aber ich kenne Sie eh vom Fernsehen. Ah, jetzt sehe ich Sie! Und das da im Hintergrund, das ist typisch Tirol, oder? Alles verbaut, nur noch eine Wiese frei!

 

Innauer: (lacht) Ja, wenn die uns gehören würde, dann hätten wir keine Sorgen!

 

STANDARD: Der namensgebende „Tiroler“ Ihres Buchs – was ist der, außer reich?

 

Innauer: Es gibt ein breites Spektrum an Tirolern, und ich werde mich als Bregenzerwälder, der ich ja bin, hüten, dazu allzu viel zu sagen, nur so viel: Er ist tüchtig, loyal, man steht zusammen. Und nach Ischgl hat man vielleicht gesehen, dass er sich ganz schwertut, Fehler einzugestehen. Da fehlt ein bisschen die Selbstironie. Sie lachen schon lieber über andere.

 

STANDARD: Können Sie uns in Wien einmal erklären, warum die „Nicht-Wälder“ die „Wälder“ nicht mögen und umgekehrt?

 

Innauer: Das ist eine liebevolle Geringschätzung, würd ich sagen, aber im Grunde gilt heute noch: Wenn sich bei einer Firma ein Mädel oder ein Bursch aus dem Bregenzerwald bewirbt, dann kommt wie aus der Pistole geschossen: „Das sand Wäldar, die künnod mir nia!“ – „Die können wir gebrauchen!“ Die sind irgendwie anders, was Verantwortungsbewusstsein und Durchhaltevermögen angeht. Man schätzt sie, aber man lästert auch über sie.

 

STANDARD: Und Sie sind ein typischer Wälder?

 

Innauer: Mit Sicherheit. Ich hab von meiner Mutter, der Hausname war Toblar, das leicht Schelmische und von der Innauer-Seite das Zielstrebige, das Ehrgeizige, das Wortkarge.

 

STANDARD: Auf „wortkarg“ wäre ich jetzt bei Ihnen nicht gekommen. Mussten Sie sich die Freude am Reden erst aneignen wie so vieles andere auch?

 

Innauer: Es war wahrscheinlich schon mehr in mir drinnen, als ich geglaubt habe, was sich auch in der Schule eher selten geäußert hat. Es gibt so G’schichteln, dass ich mich nie gemeldet habe, nur wenn es besonders schwierig war, und das ist meinen Schulkollegen so auf die Nerven gegangen. Vielleicht ist mir das Reden als Kind auch abtrainiert worden durch die Gasthaussituation zu Hause, da war ich sehr scheu und zurückgezogen.

 

STANDARD: Sie sind ja dann abgebogen in Richtung Intellektueller, wohingegen das Gros der heimischen Sportler die gepachtete Tankstelle oder die Trafik anstrebte. Hat das „G’scheiterl“ Innauer auch Missgunst erlebt?

 

Innauer: Wir haben deswegen ja schon pauschale Diskriminierung erlebt als Stamser, als wir da mit Baldur Preiml in der Szene aufgetaucht sind. Der Bubi Bradl hat zu mir gesagt: „Du wirst es nie schaffen, weil ein Gstudierter kann nicht Ski springen!“

 

STANDARD: In Ihrem Buch steht, dass man ab dem Alter von 30 Jahren Muskeln abbaut. Sie waren ja nie der Hulk, deshalb die besorgte Frage: Wie viel ist jetzt mit 62 vom Hänfling Toni Innauer noch übrig?

 

Innauer: Ich hab mir den Wahnsinn geleistet, während des ersten Lockdowns auf dem Balkon auf dem Fahrrad sitzend den Mann ohne Eigenschaften zu lesen. Danach hab ich mein Lesepensum ein bisschen runtergeschraubt! (lacht) Meine Frau hatte mich gewarnt, nicht vor Musil, sondern davor, dass ich dann noch einmal 1,5 Kilo abnehmen werde, was nicht meine Absicht war, ich muss ja schauen, dass ich das Gewicht halte. Leider habe ich vor Corona verabsäumt, mir Hanteln zuzulegen, die würde ich jetzt brauchen.

 

STANDARD: In Tirol sind alle mit Hanteln nach Hause und nicht mit Klopapier?

 

Innauer: Schaut so aus, es war alles ausverkauft. Jetzt warte ich halt, bis sie auf Willhaben stehen.

 

STANDARD: Obwohl die Tiroler reich sind, haben auch sie Kreuzweh, Bandscheibenvorfälle und Verspannungen.

 

Innauer: Gerade „der Tiroler“ steht statistisch sehr gut da. Aber darum geht es in meinem Buch im Grunde. Den Befund, dass sich unser Bewegungsverhalten dramatisch negativ zuspitzt, weil wir Bewegung nicht mehr wie früher in der Kindheit mitgeliefert bekommen. Und die Aussicht, dass Bewegung in Zukunft als Kulturtechnik wie Mathematik vermittelt werden muss.

 

STANDARD: Aber das „Früher“, das wir so gern verklären: Unsere Eltern haben sich den Buckel krumm gearbeitet, und deren Eltern sich zum Teil noch zu Tode geschunden.

 

Innauer: Aber sie sind auf den Zahnarztstuhl hinaufgekommen, wenn sie einen Zahnarzt gehabt haben. Heute schafft das die Hälfte der Kinder nicht mehr, weil sie zu schwer sind, keine Kraft dafür haben und ihnen die Koordination fehlt.

 

STANDARD: Sie selbst wissen viel, bis hin zur „Schwingungsweite von Gelenken“. Kann man auch zu viel über seinen Körper wissen und vielleicht sogar zu viele Seminare besuchen?

 

Innauer: Da muss ich Ihnen recht geben, aber das gehört halt auch zu mir. Die Balance zu finden ist ganz wichtig. Wie viel Veränderung brauche ich, um beweglich zu bleiben, und wie viel Beharrlichkeit, um stabil zu bleiben. Ich war als junger Mensch rigider und starrer, und werde ins Alter hinein eher neugierig.

 

STANDARD: Sie merken noch keine Verkarstung der Gehirnzellen?

 

Innauer: (lacht) Die merken eh nur die anderen. Selbst denkt man ja immer, dass man ganz toll ist.

 

STANDARD: Sie sind ja auch Philosoph …

 

Innauer: …Lehramtsphilosoph!

 

STANDARD: Um mit Nietzsche zu sprechen: Seit gestern ist Gott wirklich tot. Haben Sie Erinnerungen an Maradona?

 

Innauer: Was mir als Erstes einfällt, ist diese Begeisterung, als er sein Comeback gefeiert hat bei der WM in Amerika, und am nächsten Tag ist herausgekommen, dass er positiv getestet wurde. Das hat mich traurig gestimmt, weil wir natürlich alle gemerkt haben: Der ist außerirdisch, nahezu eine Erscheinung, und trotzdem eine tragische Figur.

 

STANDARD: So ist das halt mit Göttern, sie fallen manchmal.

 

Innauer: Mit dem Bruno Pezzey hab ich einmal geredet über Maradona, der hat gesagt, wenn der auf dich zugekommen ist, das ist wie in der Zaubershow. Alles, was du als Verteidiger gelernt hast, war gegen ihn nicht anwendbar.

 

STANDARD: Dem Pezzey ist er wahrscheinlich aufrecht durch die Beine gelaufen.

 

Innauer: Der Bruno war ein Langer, ja. Wir sind beide Vorarlberger ähnlichen Alters, er hatte mit 15 seinen ersten Einsatz bei SW Bregenz, und wir sind seinetwegen extra aus dem Bregenzerwald ins Stadion gefahren. Später haben wir uns kennengelernt bei den Vorarlberger Sportlerwahlen, die ich meistens gewonnen habe. Er hat so eine gemütliche Art gehabt und gesagt: „Solange der Klaaane so weit hupft, gwinn i des net!“ Er hat dann doch gewonnen.

 

STANDARD: Weil er so fesch war.

 

Innauer: Auch deswegen wahrscheinlich. Jetzt liegt er auf dem Friedhof am Bergisel, und von der Schanze aus schaut man praktisch auf sein Grab.

 

STANDARD: Matti Nykänen war der Maradona des Skispringens.

 

Innauer: Ich habe ja mit ihm zu tun gehabt und damals gemerkt, wie schwer sich dieser Außergewöhnliche sein Leben gemacht hat. Da sieht man, dass es auch ein Fluch sein kann, eine solche Begabung zu haben, und man fragt sich, warum er die Ernte daraus nie in trockene Tücher bringen konnte. Umgekehrt gibt es Leute wie Roger Federer, der immer ein motorisches Genie war und anfangs ein Zornbinkel, und der sich daraus befreit und zu einer großartigen Persönlichkeit entwickelt hat.

 

STANDARD: Keith Richards ist auch ein motorisches Genie und eine wahre Persönlichkeit. Könnte man den mit den zwölf Tirolern noch besser machen?

 

Innauer: Ich glaube, dass die zwölf Tiroler die einzige Chance für den Keith wären, in seiner Beweglichkeit noch an den Mick heranzukommen. Ich weiß nur nicht, wie es bei ihm mit der Beratungsresistenz ausschaut, aber vielleicht reizt es ihn ja, den „Rothirsch“ zu machen.

 

STANDARD: 6. März 1976 in Oberstdorf, 168 Meter und fünfmal die Note 20 – haben Sie das da oben auch so schön erlebt wie wir als Zuschauer vor dem Bildschirm?

 

Innauer: Ich bin bis heute dankbar, dass mir das gelungen ist, es sind diese Momente, wo alles so funktioniert, wie man es sich erträumt, und sogar noch besser. Und selbst ist man der Hauptdarsteller! Aber das war gar nicht mein bester Sprung, den hab ich fast ein bisserl extra für die Kampfrichter gemacht. Das kann man, wenn man in Form ist, einen Sprung bewusst zelebrieren. Die besseren Sprünge, weil noch mehr Risiko, waren schon die zu den Weltrekorden ins Flache über 174 und 176 Meter.

 

STANDARD: Apropos Risiko, warum haben Sie damals dieses rote Kapperl getragen anstatt eines Helms?

 

Innauer: Ganz einfach, wir waren so verrückt damals, dass jeder als Feigling gegolten hätte, der einen Helm aufgesetzt hätte, das Gummikapperl hat zwar keinen Schutz geboten, aber eine bessere Aerodynamik als die gestrickte Haube. Ein schönes Beispiel dafür, was für bedenkliche Werte oft in geschlossenen Systemen gepflegt werden, da traut sich keiner raus.

 

STANDARD: Jan Boklöv hat dann mit dem V die Ästhetik des Springens ruiniert. Kann man das so sagen?

 

Innauer: Er hat zunächst natürlich alles demoliert, hat aber dem Skispringen ein unschätzbares Vermächtnis hinterlassen, weil das eine der wenigen technischen Veränderungen war, die nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern auch die Sicherheit gesteigert haben. Seit dem Boklöv hat sich die Anlaufgeschwindigkeit um fast zehn Prozent verringert, was vor allem das Skifliegen weniger riskant macht.

 

STANDARD: Sie schreiben von Ihrer Sehnsucht, wieder „Tier sein“ zu wollen, und haben Ihre Übungen nach zwölf heimischen Tierarten benannt. Wenn die Ihnen dabei zuschauen würden, wie Sie sich verrenken, was würden sie sagen – „Der hat alles verstanden!“ oder „Was für ein Idiot!“?

 

Innauer: Beides, mit Sicherheit. Aber! Wenn ich mich in das Jagdverhalten indigener Völker hineinversetze und mir ein Bärenfell umhänge oder ein Hirschgeweih aufsetze, um mich dem Tier zu nähern, dann ließe sich mit meinen zwölf Tirolern zu bestimmten Zeiten des Jahres doch manches der genannten Viecher provozieren oder reizen, wenn es mich sieht!

 

STANDARD: Oder es verliebt sich sogar in Sie?

 

Innauer: (lacht) Ja, wer weiß!

 

STANDARD: Sie schreiben auch von den Industrien, die davon profitieren, dass wir uns nicht bewegen, weil sie uns dann teuer behandeln können. Andererseits schafft die Fitnessindustrie auch alle zwei Wochen einen neuen Trend wie jetzt Ihre „animal movements“, damit wir uns wieder das passende G’wand dazu kaufen müssen.

 

Innauer: Der Markt verbindet einen Trend auch mit neuer Bekleidung, das stiftet sichtbare Zugehörigkeit. Eigentlich hätte ich mir überlegen sollen, ob ich nicht eine spezielle Signature-Hose für meine Übungen dazu verkaufe, gute Idee.

 

STANDARD: Vielleicht die Innauer-Jogginghose mit Bachforellenmuster um weltrekordverdächtige 176 Euro?

 

Innauer: Oder einen Schwimmanzug. Ich schau jetzt, dass wir das Bücherl unter die Leute bringen!

 

STANDARD: Als TV-Kommentator haben Sie die eine oder andere gewagte Haube aufsetzen müssen. Kann man da auch einmal Nein sagen, oder behält man einfach seine Würde?

 

Innauer: Erstens hab ich die Hauben selbst ausgesucht, weil ich da nie so einen Wert drauf gelegt habe, modisch rüberzukommen. Zweitens gibt es einen Unterschied zwischen ORF und ZDF, wo wir alles aufsetzen dürfen, nur keine Werbung …

 

STANDARD: Wohingegen man beim ORF alles aufsetzen darf, Hauptsache, es steht „Kronen Zeitung“ drauf?

 

Innauer: In Österreich darf man als TV-Experte halt mehr Werbung machen, Sportler und Trainer können das bei beiden Sendern.

 

STANDARD: Hat man als reicher Tiroler ein Bewusstsein dafür, dass auch Fitness eine Frage von Ungleichheit in der Gesellschaft ist, weil für Ärmere die Wohnung schlicht zu klein ist, um eine Yogamatte darin aufzulegen?

 

Innauer: Natürlich, je besser der Bildungsgrad, desto ausgeprägter das Bewusstsein für Ernährung und Bewegung. Und wenn heute die Institution Schule mehr oder weniger auf den Turnunterricht verzichtet, dann bewegen wir uns eben in die Katastrophe hinein, die ich beschreibe. Fünf von den zwölf Tirolern kann ich aber auch schon vor dem Aufstehen im Bett machen, also …

 

STANDARD: Am Ende treffen wir uns eh alle in der Jogginghose, die Armen in der ausgebeulten, die Reichen in der atmungsaktiven. Haben Sie auch eine Wohlfühlhose für die Couch?

 

Innauer: Ich hab beides. Aber am liebsten gehe ich in der Kurzen raus.

 

STANDARD: Mein Vater ist immer aus dem Fernsehsessel aufgesprungen, sobald Sie sich dem Schanzentisch näherten. Und Sie sind dann nicht gelandet, bevor er sich nicht wieder setzte – Sie verdanken ihm gewissermaßen Ihre Weltrekorde.

 

Innauer: Das freut mich, danke herzlich! (lacht) Wäre ich länger gesprungen, hätte er noch öfter auf und ab hüpfen können. Hauptsache, wir bewegen uns! (Manfred Rebhandl, 6.12.2020)

 

Toni Innauer, geb. 1958, gewann als Skispringer u. a. die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 1980. Bevor er als ÖSV-Trainer und Sportdirektor arbeitete, schloss er das Lehramtsstudium Philosophie/Psychologie ab. 2011 gründete er mit Wolfgang Schwarzmann die Firma Innauer + facts.

 

Manfred Rebhandl, geboren 1966, ist Schriftsteller („Sommer ohne Horst“) und Reporter.

Deine Meinung

  1. Hallo g.a.: Unser Lager wurde gestern - Montag - geräumt. Wir bekommen die "12 Tiroler ..." in Kürze wieder "im Skribo" und würden uns freuen, wenn du ein paar Tage warten würdest. Vielen Dank