Ibiza-U-Ausschuss: Kanzler und Finanzminister …

Unter dem Titel „Memento“ hat Rainer Nikowitz im Wochenmagazin „Profil“ folgendes geschrieben:

 

Der Ibiza-U-Ausschuss hat bisher noch nicht sehr viel zutage gefördert – außer, dass die ÖVP leider kollektiv ein wahnsinnig schlechtes Gedächtnis hat.

 

Als der Kanzler an jenem Morgen aufwachte, wusste er sofort, dass er nichts wusste. Da ging es ihm seinem großen Vorbild. Nicht Sokrates, nein.

 

Nein, er dachte da mehr an … an wen noch einmal schnell? Es fiel ihm nicht ein. Der Kanzler stand gähnend auf und schlurfte aus dem Zimmer. Jetzt stand er in einem Vorraum mit drei geschlossenen Türen. Der Kanzler zog die Augenbrauchen hoch und die Mundwinkel herunter. Er konnte Denksportaufgaben nicht leiden. Schon gar nicht um diese Zeit. Wobei … wie spät war es eigentlich? Achselzuckend öffnete er die nächstbeste Tür. Da war ein Ding mit Drehknöpfen und vier runden Platten darauf, dann eine in einen halbhohen Schrank eingebaute Art Bottich mit einem Wasserhahn darüber. Nannte man das nicht Abwaschoder so? Und dann ein großer, glatter, weißer Kasten, auf dem ein gelber Zettel klebte. Der Kanzler trat näher und las halblaut: „Kühlschrank.“ Er dachte scharf nach. Könnte das eventuell eine Küche sein? Also ein Zimmer, in dem man … äh … was noch einmal schnell tat?

 

Übellaunig ging der Kanzler zurück und probierte die nächste Tür. Dieses Zimmer war deutlich kleiner als das erste und es stand nur ein einziges Ding darin herum. Aber was für eines! Eine große Schüssel, die mit einem Rohr mit einem etwas höher dahinter an der Wand hängenden Kasten verbunden war. Und am Boden der Schüssel war ein Loch mit ein wenig Wasser drin. Weiß der Himmel, wohin das wieder führte. Auf dem Kasten war ein silbriger Knopf. Neugierig drückte ihn der Kanzler – und prallte erschreckt zurück. Wasser ergoss sich plötzlich in die Schüssel, ein rauschender Sturzbach? Gleich würde sie übergehen! Ach nein, zum Glück doch nicht. Das Wasser entschwand durch ein Loch.

 

Einigermaßen erleichtert, dass das gerade noch einmal gut gegangen war, wandte sich der Kanzler der letzten Tür zu. Und siehe da: Sein wie immer untrüglicher Instinkt sagte ihm sofort, dass er hier richtig war. Hier gab es einen ähnlichen Bottich wie im ersten Zimmer, auch mit einem Wasserhahn. Und darüber hing ein Spiegel. Der Kanzler stellte sich vor ihn und schaute hinein. Ein Fremder starrte zurück. Und dem sollte er die Zähne putzen? Oder tat man das gar nicht jeden Tag? Sondern vielleicht nur an Sonntagen? Und war am Ende heute Sonntag? Der Kanzler stöhnte gequält auf. Immer dasselbe, und das in seinem Alter. Es wurde langsam echt lästig.

 

Ein eigenartiges Geräusch riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Es war Musik. Aber sie klang irgendwie blechern, hohl. Jemand sang „Ich bin der Märchenprinz, Mamamamärchenprinz! In der Provinz bin ich der Märchenprinz.“ Holy shit! War da noch jemand in der Wohnung? Der Kanzler griff sich zitternd die nächstbeste Waffe und schlich dann mit vorgehaltener Nagelschere in die Richtung, aus der die Musik kam. Zum Wohnzimmer. Vorsichtig lugte er um die Ecke. Es war niemand zu sehen. Die Musik kam aus einem kleinen Ding, das auf dem Tisch lag. Es blinke, brummte und – sang. Der Kanzler betrachtete es stirnrunzelnd. Auf einem kleinen Bildschirm stand ein Name: Gernot. Darunter waren zwei rätselhafte Symbole, eines grün und eines rot. Instinktiv drückte der Kanzler auf Grün. Die Musik brachabrupt ab. Aber stattdessen sagte plätze eine Stimme „Hallo?“

 

Das Herz des Kanzlers pochte bis zum Hals. „Wer sind Sie?“, schnarrte er. – „Gernot“, sagte die Stimme: „Gernot Blümel.“ – Der Kanzler blieb misstrauisch „Woher wissen Sie das?“ – Ich habe eine Zeitung gefunden mit meinem Bild drin.“ Blümel machte eine kleine Pause. Und dann schob er nach: „Da steht auch, dass ich angeblich Finanzminister bin.“

 

Der Kanzler runzelte die Stirn. „Geh bitte“, sagte er dann harsch. „Wenn Sie Finanzminister sind, dann bin ich Bundeskanzler!“ – „Na ja …“, antwortete der andere zögerlich. „Eh!“ – Der Kanzler war wie vom Donner gerührt. Er sollte der Kanzler sein? Er konnte sich ja gerade noch erinnern, wie er hieß. Schüssel. Karl-Heinz Schüssel.

 

„Und was wollen Sie von mir?“, schnaubte er. „In dieser Zeitung steht auch, dass Sie heute wohin gehen, wohin ich morgen auch gehen muss“, fiepte der andere zurück. – „Aha. Und?“ – Ich wollte nur sicherstellen, dass wir dort dasselbe sagen.“ – „Und zwar?“ – „Nun ja: Dass wir uns an nichts erinnern!“

 

Das klang nach einer leichten Übung. Und nachdem ein Mensch an seiner Wohnungstür geläutet, ihm mitgeteilt hatte, er sei sein Chauffeur und es sei jetzt Zeit, aufzubrechen, zog sich der Kanzler an und fuhr zum Ibiza-Untersuchungsausschuss. Und dann wussten die dort auch, dass er nichts wusste.

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