Sebastian Kneipps Ausflug 1890 ins Ländle
Zum 200. Geburtstag des Allgäuer Priesters und Therapeuten
Quelle: Vorarlberger Kirchenblatt, Ausgabe vom 13. Mai 2021
Autor: Georg Sutterlüty
So sollt ihr Leben!
Sebastian Kneipps 2tägiger Ausflug ins Ländle im Jahr 1890 wurde mit großer Begeisterung aufgenommen
Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile. Der Kneipp soll kommen, ja der berühmte Wasserdoktor aus Wörishofen! Und er soll das neu hergerichtete Heilbad in Andelsbuch eröffnen! Das war eine Sensation, gerade nach dem harten Winter, als eine hartnäckige Influenza im Land gewütet hatte, welche einzelne Gemeinden veranlasst hatte, ihre Schulen eine Zeitlang zu schließen. In Mellau, hieß es, treffe man an fast jedem Krankenbett den Wasserpfarrer persönlich an, und zwar in Form seines Bestsellers „Meine Wasserkur“.
Sebastian Kneipp war Priester, doch seine Leidenschaft galt der Gesundheit. Als er 1886 sein erstes Werk über die Wasserkur veröffentlichte, konnte er auf jahrzehntelange Erfahrung als Hydrotherapeuten zurückschauen. Dieses Werk schlug wie ein Blitz ein. Der Priester wurde weltberühmt, die Wasserkuren und später seine naturheilkundlichen Ratschläge (1889 das zweite Buch: „So sollt ihr leben!“) stießen auch in Vorarlberg auf fruchtbaren Boden. Die Bücher fanden reißenden Absatz, doch wer konnte, ging gleich nach Wörishofen auf Kur. Alles sprach nun vom „Kneippen“ als eine neue Form der Gesundheitspflege, wenn auch nicht alle von den Lehren Kneipps überzeugt waren. Böse Zungen aus der Ärzteschaft, die gemeinhin dessen Thesen recht kritisch beäugte, meinten abschätzig, das einzig Gute an der Kneipp-Manie sei, dass sich die Leute nun endlich reinlich waschen würden.
Kneipp war schon länger mit dem Mehrerauer Abt Maurus Kalkum gut befreundet. Letzterer ging jährlich nach Wörishofen zur Kur, um schließlich die Begeisterung der eisigkalten Wassergüsse an seine Mönche weiterzugeben. In der Klosterchronik ist vermerkt, schon in aller Herrgottsfrüh nach dem Chorgebet wandelten einige Mönche barfuß im taunassen Gras, als wäre dies ein fester Bestandteil der Klosterordnung. Kneipp reiste dann im Mai 1890 nach Bregenz, um dort als Festprediger für den Mehrerauer Primizanten Michael Weiher – der Mönch stammte aus der Gegend um Wörishofen – zu fungieren. Endlich gab es die Möglichkeit, den berühmten Wasserpfarrer live zu sehen und zu hören. 3000 Personen sollen der Messe beigewohnt haben, Kneipp habe über eine Stunde gepredigt. Nicht wenige staunten, wie ein kleiner, aber stämmiger und mit einer kräftigen Stimme ausgestatteter Mann tausende Menschen in seinen Bann ziehen konnte.
Nachmittags ging es weiter nach Andelsbuch. Eine Abordnung der Wäldergemeinde – bestehend aus dem Vorsteher Jodok Fink, dem Pfarrer Johann Müller und dem Gemeindearzt Dr. Michael König – geleitete ihn per Kutsche über das Schwarzachtobel in den Bregenzerwald. In Andelsbuch war man auf die Idee gekommen, dem dahindümpelnden Stahlbad einen neuen Anstrich zu geben. Dr. König konnte sich – im Gegensatz zu vielen seiner Berufskollegen – für die hydrotherapeutischen Lehren Kneipps sehr begeistern. Warum nicht die Gunst der Stunde nutzen und auf diese vielversprechende Welle aufspringen? In kurzer Zeit war das Bad in eine „Kneipp-Kuranstalt“ umgestaltet, und Dr. König in den unterschiedlichen Anwendungen geschult, nachdem er einige Wochen zuvor direkt beim Lehrmeister in Wörishofen praktiziert hatte.
In Andelsbuch wurde der berühmte Gast mit Böllerschüssen begrüßt. Es blieb kaum Zeit für die Besichtigung und Eröffnung des Heilbades, von dem er laut Medienberichten sehr angetan gewesen sein soll. Doch alle warteten gespannt auf den Vortrag, gehalten im großen Saal des Hotel König. Vom ganzen Wald waren Neugierige angereist, „die Räumlichkeiten des Saales vermochten die Zuhörer nicht zu fassen“, schrieb das Vorarlberger Volksblatt. Kneipp unterhielt die Zuhörer/innen in gekonnter Manier. Er tadelte viel: die Jugend werde verweichlicht, die Genusssucht greife um sich (das schlimmste Gift und Suchtmittel sei der Bohnenkaffee), und die Kleidermode nehme den Frauen durch das starke Schnüren die Luft und somit ihre Energie. Er empfahl eine Umkehr zu einer einfachen Lebensweise: eine ausgewogene Ernährung und Abhärtung durch tägliches Barfußgehen.
Nach zwei Stunden war alles gesagt. Kneipp blieb noch über Nacht, um am nächsten Tag nach Wörishofen zurückzukehren. Er kündigte an, wiederzukommen. Doch der Rummel um seine Person nahm bis zu seinem Tod 1897 ständig zu. Seine nächsten Stationen sollten nicht mehr der Wald, sondern Zürich, Wien, Budapest, Rom und Paris sein.