Abnehmen: hier Infos …

Bericht gefunden in der österr. TZ „Der Standard“ vom 3. Jänner 20 – geschrieben/erstellt von Karin Pollack

 

Abnehmen: Psychiaterin Zachenhofer: „Es gibt Essen, das süchtig macht“

 

Iris Zachenhofer zieht die Lebensmittelindustrie zur Verantwortung – denn hochkalorische Lebensmittel haben eine ähnliche Wirkung wie Heroin

 

„Craving wird durch starke innere Spannungen verursacht. Es geht also darum, diese Spannungen abzubauen. Da kann Schmerz eine sehr hilfreiche Sache sein“, sagt die Wiener Psychiaterin Iris Zachenhofer.

 

STANDARD: Für viele Menschen ist der Jahresbeginn mit dem Vorsatz verknüpft, abzunehmen. Warum schaffen es so viele Menschen mit Übergewicht nicht, langfristig abzunehmen?

 

Zachenhofer: Viele schaffen es nicht, weil sie Essen gewöhnt sind, das sie de facto süchtig gemacht hat. Wer über längere Zeit Lebensmittel mit sehr viel Zucker und Transfetten gegessen hat und das bei einer Diät dann weglässt, dem schmecken normale Lebensmittel nicht mehr. Und viel mehr noch: Sie bekommen wirkliche Entzugserscheinungen und entwickeln Verhaltensmuster, die denen von Suchtkranken ähneln.

 

STANDARD: Essen als Sucht?

 

Zachenhofer: In der Suchtmedizin gibt es den Begriff Craving, der ein unstillbares Verlangen beschreibt. Wenn Menschen, die extrem zucker- und fettreiche industrielle Nahrung gewöhnt sind, diese nicht mehr bekommen, dann sind sie nicht viel anders als Drogenkranke auf einer Art chemischem Entzug. Sie sind extrem schlechter Laune, unruhig, laufen herum auf der Suche nach Dingen, die ihnen schmecken. Genau dieses Verhalten kennen wir in der Suchtmedizin.

 

STANDARD: Was genau meinen Sie?

 

Zachenhofer: Extrem zuckerhaltige oder industriell gefertigte Nahrungsmittel. Es gibt diese hervorragende Studie mit Oreo-Keksen, die für die Entstehung dieses Buches ausschlaggebend war. Es ist ein Experiment mit Ratten, die die Wirkung von Kokain und Heroin kannten. Bot man den Tieren aber zusätzlich zu diesen harten Drogen Oreo-Kekse an, entschieden sie sich für dieses zuckerhaltige Gebäck, das zusätzlich zum Zucker ja auch noch eine extrem fettreiche weiße Creme in der Mitte hat. Der Suchteffekt, den Lebensmittel haben können, fehlt in vielen Abnehmbüchern, obwohl er eigentlich sehr zentral ist.

 

STANDARD: Warum zentral?

 

Zachenhofer: Die Leute mit Übergewicht denken sehr oft, sie seien willensschwach und deshalb selbst schuld an ihrem Problem. Doch das stimmt so nicht. Wenn eine Substanz süchtig macht, reicht der Wille einfach nicht, um sich zu wehren. Das ist auch der Grund, warum Diäten scheitern. Übergewichtige wissen genau, was ungesundes Essen ist, und kommen trotzdem nicht davon los. Zusätzlich werden sie ständig von der Werbung an genau diese ungesunden Sachen erinnert. Die Nahrungsmittelindustrie ist extrem aggressiv in ihren Marketingstrategien.

 

STANDARD: Haben Sie Beispiele von süchtigmachenden Lebensmitteln?

 

Zachenhofer: Schokolade, Eiscreme, Fertigpizza, das sind nur drei Beispiele. Aber Essverhalten ist sehr individuell, es können auch Dinge wie Mayonnaise oder Salatsaucen sein. Oder Kartoffelchips aus dem Packerl. Wir wissen, dass viele Übergewichtige beim Abnehmen dann genau darauf eine unbändige Lust bekommen. Ein Craving auf Eier, Gemüse oder Obst, das gibt es de facto nicht.

 

STANDARD: Was raten Sie als Psychiaterin?

 

Zachenhofer: Einen Plan haben, das ist eigentlich am wichtigsten. Wenn Patienten süchtig nach Heroin, nach Kokain oder Alkohol sind, dann ist die Empfehlung einfach: Man verzichtet auf diese Substanzen, und zwar vollständig. Bei Essen ist das aber anders, weil man ja nicht auf Essen strikt verzichten kann und insofern theoretisch immer wieder mit den süchtigmachenden Substanzen in Berührung kommt. Deshalb sollte der erste Schritt das Erstellen einer sehr individuellen schwarzen Liste sein: Welche Lebensmittel esse ich? Welche sind hochkalorisch? Auf welche verzichte ich? Und welches Essen, das mir schmeckt, will ich weiter konsumieren? Diese schwarze Liste wird bei jedem Übergewichtigen anders aussehen.

 

STANDARD: Und was, wenn man diese Liste dann erstellt hat?

 

Zachenhofer: Aus der Suchttherapie wissen wir, wie wichtig Selbstreflexion im Entzug ist. In diesem Buch gibt es viele Fragebögen, die den Lesern und Leserinnen helfen sollen, ihre eigenen Verhaltensmuster zu erkennen. Wie ernähre ich mich? Wann esse ich ungesunde Sachen? Und warum? Auf diese Weise lernt man alle möglichen unbewussten Reaktionen kennen und bekommt die Chance gegenzusteuern.

 

STANDARD: Können Sie ein Beispiel geben?

 

Zachenhofer: Viele Drogenkranke konsumieren, wenn sie unter starker Spannung stehen, also Stress haben, psychisch belastet sind. Das passiert auch beim Essen. Viele essen aber auch aus Langeweile. Dann gibt es jene, die essen besonders viel in für sie angenehmen Situationen, etwa die Chips vor dem Fernseher. In jedem Fall geht es darum, an diesen typischen Suchtsituationen Dinge zu verändern. Zum Beispiel eben nicht fernzusehen. Oder statt Keksen Karotten zu essen. Oder bügeln, das hilft erstaunlich oft. Auch Bewegung lenkt ab. Es gibt viele Auswege.

STANDARD: Gibt es schwere Fälle?

 

Zachenhofer: Ja, die gibt es. Wenn das Craving nach einer bestimmten Sache sehr stark ist, empfehlen wir härtere Maßnahmen.

 

STANDARD: Welche?

 

Zachenhofer: Craving wird durch starke innere Spannungen verursacht. Es geht also darum, diese Spannungen abzubauen. Da kann Schmerz eine sehr hilfreiche Sache sein. Damit haben wir gute Erfahrungen bei Suchtkranken. Es geht aber natürlich um eine harmlose Form von Schmerz. Bei extremen Hungeranfällen können scharfe Chilis, extrem laute, unangenehme Musik wirksam gegen starkes Craving sein. Sich mit einem Gummiringerl auf die Haut schnalzen oder sich heißes Kerzenwachs auf die Haut tropfen hilft auch vielen, um von Spannungen herunterzukommen.

 

STANDARD: Wie lang sollte ein Entzug dauern?

 

Zachenhofer: Wir empfehlen erst einmal 28 Tage, das ist ein realistischer Zeitraum für die Selbstbeobachtung. In diesen Tagen geht es aber auch darum, ein Ziel zu erreichen, für die meisten Übergewichtigen ist das natürlich die Gewichtsabnahme. Aber es geht auch darum, sich jeden Tag zu fragen: Was ist gut gelaufen? Was weniger? Und nach diesen 28 Tagen definiert man neue Ziele.

 

STANDARD: Und was, wenn es zu Rückfällen kommt?

 

Zachenhofer: Es kommt fast immer zu Rückfällen, das liegt in der Natur einer Suchterkrankung. Doch jeder Rückfall ist auch eine neue Chance. Hilfreich ist, wenn die Leute in der Umgebung unterstützen, Verständnis haben.

 

STANDARD: Was ist hilfreich, um von ungesunden Lebensmitteln wegzukommen?

 

Zachenhofer: Mahlzeiten selbst zubereiten und gemeinsam mit anderen essen. Erstens weiß man dann genau, was im Essen drin ist, und zweitens verhindert man das Essen zwischendurch. Das ist bei vielen ein Knackpunkt.

STANDARD: Was ist ihre Ernährungsempfehlung?

 

Zachenhofer: Mediterrane Kost, also viel Obst, Gemüse und Fisch, wenig Fleisch. Es ist sogar in Studien bewiesen, dass das gesund ist. Die meisten sind mit mediterraner Kost vertraut, es schmeckt gut. Das ist wichtig, denn Essen und Genuss sind eng miteinander verbunden. Und so sollte es auch bleiben.

 

Iris Zachenhofer ist Psychiaterin am Otto-Wagner-Spital in Wien und auf Suchterkrankungen spezialisiert. Sie beschäftigt sich seit langem mit Übergewicht und hat darüber bereits zwei Bücher verfasst („Kopfsache schlank“, „Slow slim“), Letzteres zusammen mit Shird Schindler, ebenfalls Psychiater am Otto-Wagner-Spital.

Deine Meinung