Wie konservativ sind Sie, Herr Renner?

Im sonntäglichen Magazin der KRONE (sehr bekannte österr. Tageszeitung) haben wir folgendes Interview mit dem Künstler Paul Renner gefunden, das wir den Egg-Newsern nicht vorenthalten möchten:

 

Eigentlich wollte Paul Renner am Tag des Interviews nach Wien fliegen. Daraus wurde aber nichts, denn in seinen Koffern transportiert er explosive Stoffe. So muss er den Zug nehmen, die ÖBB sind da toleranter.

 

Sie sind bekannt für Ihren Zugang zur Kunst über den Begriff des Gesamtkunstwerks. Was hat es damit auf sich?

 

Ich habe 1983 die Ausstellung „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ von Harald Szeemann gesehen. Da wurde mir klar, dass meine Idee von Kunst nach einer Form der Inszenierung verlangt, die über das Malen eines Bildes hinausgeht. Da meine Arbeit sich aus den Gefilden der Literatur, der Musik, der Philosophie, den darstellenden Künsten und der Kulinarik gleichermaßen nährt, interessierte mich von da an mehr, an einem dynamischen Modell zu arbeiten, das sich gegen die Zwangslagen des Verstehens richtet und synästhetische Prozesse in den Mittelpunkt stellt. Der Begriff Gesamtkunstwerk wurde mittlerweile von der Werbeindustrie so abgedroschen, dass man Hasen mit Kartoffeln verwechselt oder unter Kunst die Wohlfühlindustrie versteht. Einer der Höhepunkte war in Vorarlberg wohl das Theatrum Anatomicum im KUB, wo Musik, Kulinarik, Theater, Film und Poesie gleichzeitig stattfanden.

 

Damals hat man ein riesiges Bauwerk vor dem KUB installiert. Können Renner-Fans wieder einmal mit einer Präsentation dieser Größenordnung rechnen?

 

Ja, im Frühjahr kommenden Jahres in einem Hangar des Flughafens Altenrhein. Vor zwei Jahren habe ich in Italien bei einer großen Ausstellung zum ersten Mal meine Idee vom Bernsteinzimmer verwirklicht: ein 80 m² großer Raum, der von oben bis unten mit Harz zugegossen war. Ein Mannheimer Sammler hat dieses Zimmer gekauft, dabei wollte ich es eigentlich verbrennen. Dieses Bernsteinzimmer soll nun in einem Mannheimer Hotel eins zu eins übernommen werden. Und bevor es dorthin geht, wollte ich es noch einmal präsentieren, und zwar in vertikaler Form – als Turm. Dazu werden noch zwei riesige Türme aus Lebensmitteln und ein Turm aus den Abfällen einer Jahresproduktion aus meinem Atelier zu sehen sein. Eine ziemlich große Sache also. Auch ein Restaurant soll eingebaut werden, in dem dann drei Tage und drei Nächte gefeiert wird.

 

Das Kochen spielt in Ihrer Kunst eine große Rolle. Wie sind Sie zum Kochen gekommen?

 

Durch meine Großmutter, die Wirtin und Köchin war. Meine Eltern hatten auch einen großen Gemüse- und Obstgarten. Auch Tiere wurden dort noch geschlachtet. Wir haben auch Enten und Gänse gezüchtet. Aber ich muss sagen, ich bin ein Dilettant. Ich bin kein großartiger Koch, aber ich traue mich.

 

Nun servieren Sie ja nicht gerade konventionelle Gerichte wie Apfelstrudel oder Kalbsgulasch. Oft werden auch Innereien oder andere mittlerweile als exotisch angesehene Gerichte aufgetischt. Worauf beziehen Sie sich beim Kochen?

 

Es geht um eine Verwertung des Ganzen, das kannte ich auch noch aus früheren Zeiten bei meiner Großmutter. Und in meiner Kochbuch-Bibliothek befinden sich sicherlich 300 bis 400 Kochbücher. Dann gibt es auch noch Einflüsse wie Bartolomeo Scappi, Leibkoch mehrerer Päpste im 16. Jahrhundert. Und das Experiment spielt natürlich eine Rolle – nicht nur in der Küche, auch in der Kunst.

 

Sie leben in Wien, Italien und im Bregenzerwald. Vorarlberg gilt ja vielen als sehr konservatives Bundesland. Wie viel Konservatismus steckt in Ihnen?

 

Es ist hier so arschkonservativ, dass das für mich wie eine Triebfeder ist, dagegen zu arbeiten. Und ich merke, dass ich dadurch stärker werde. Hätte ich nicht auch einen Wohnsitz in Neapel und Wien, würde ich eingehen. Nach 14 Tagen muss ich weg. Aber es gibt auch Vorteile hier, insbesondere die Handwerker. Das nütze ich aus – das anarchische Leben führe ich in Neapel und das disziplinierte, intellektuelle in Wien. Intellektuellen Diskurs kann ich mir hier in Vorarlberg nicht vorstellen. Großdorf bedeutet für mich Rückzug. Ich arbeite im Atelier und mit meinen Handwerkern und betrinke mich einmal im Monat im Jöslar – oder auch zweimal.

 

Auf den Bregenzerwald wird ja seit Jahren ein Loblied gesungen. Wie schätzen Sie die Region ein?

 

Sehr kritisch. Es hat schon mit der Käsestraße angefangen, ein vollkommener Blödsinn. Das Loblied höre ich ständig. Auch viele Gäste, die zum ersten Mal hier sind, schwärmen vom Bregenzerwald. Aber schon vor Jahren bin ich einmal mit Freunden oberhalb von Schwarzenberg gewesen – da hat man einen schönen Blick in den Bregenzerwald. Und beide sagten: Mein Gott, wie grauenhaft zersiedelt das ist! Das ist nun 20 Jahre her – und es ist noch ärger geworden. Das Loblied muss man doch etwas differenzierter sehen. Ich möchte auch gar nicht wissen wie viel Drogen hier umgesetzt werden. Und für Jugendliche gibt es überhaupt nichts im Bregenzerwald. Ich spiele am Wochenende für meine Tochter den Disco-Bus und hole sie in Dornbirn und Feldkirch ab. So schön ist der Bregenzerwald.

 

Sie realisieren regelmäßig Ausstellungen in Wien, London, Italien, New York. Wovon träumen Sie? Von Ausstellungen in Häusern wie dem MoMA?

 

Meine Karriere ist anders verlaufen. In den 90er Jahren ist mir die Zusammenarbeit mit der Galerie zum Hals rausgehangen, weil ich den Bezug zu den Sammlern wollte. Ich wollte mir einen Freundeskreis aufbauen, der meine Projekte unterstützt, denn das können Galerien nicht mehr. Auch das Theatrum Anatomicum wurde so finanziert. So bin ich viel schlagkräftiger. Mittlerweile ist auch die Zusammenarbeit mit den Museen schwierig geworden. Und vielen, auch renommierten Kollegen und Kolleginnen, gelingen dann gewisse Projekte eben nicht. Die heutigen großen Institutionen machen einfach keine Ausstellungen, bei denen auch gegessen und getrunken und vielleicht auch noch musiziert wird. Und so eine Nummer bin ich nicht, dass ich nun ins MoMA einziehen werde, das weiß ich. Meine Vision ist, dass sich dieser Freundeskreis vielleicht noch erweitert, damit ich mit dessen Unterstützung meine Projekte weiterhin realisieren kann.

 

Durch Ihre Tätigkeiten dringen Sie auch in Welten vor, die man sonst nicht unbedingt kennenlernen könnte. So landeten Sie einmal bei einem Tierhautpräparator in London.

 

Das hat natürlich mit meinem Interesse an allem zu tun. Ich werde 2021 in Island mein illegales Wirtshaus wieder eröffnen. Letztes Jahr war ich mit einer meiner Töchter dort. Als erstes sind wir in einem Boot auf Walbeobachtung gefahren. Da fiel mir eine alte Idee wieder ein, nämlich ein Restaurant in einem Waldkörper zu bauen – Jonas und der Wal. So habe ich darum gebeten, mir echte Walknochen zu zeigen. Wir werden sehen, ob ich das zustande bringe. Im Grunde geht es um Kommunikation, ich bin einfach kolossal neugierig. In Wien spreche ich regelmäßig Menschen auf der Straße an und lade sie zum Essen zu mir ein. Die sollen sich einfach zu zehnt hinsetzen und reden. Ich denke, wie können heute gar nicht mehr kommunizieren. Wenn sich einer hinsetzt und das Handy auf den Tisch legt, dann bin ich weg.

 

Was ist das Faszinierende für Sie an dem Begriff Dekadenz?

 

Wenn wir von Dekadenz sprechen, sprechen wir auch vom Dandy des 19. Jahrhunderts, von Haltung und Lebensstil eines Baudelaire oder Oscar Wilde. Der Dandy nimmt von vorne herein eine Antihaltung ein. Und wenn ich etwas schaffe, interessiert mich sofort auch das Gegenteil. So kommt es auch, dass man meine Bilder nicht immer als Renner identifizieren kann. Es langweilt mich, Dinge zu reproduzieren. Und zurück zur Vision: Ich bin überglücklich, wenn es in meinem Werk keinen Stillstand gibt – wo es dann gezeigt wird, ist mir egal.

 

Schon mal Ängste gehabt diesbezüglich?

 

Nein, Ängste gab es eher finanzieller Natur, denn die Dinge sind ja nicht immer einfach zu finanzieren. Aber ich musste mich nie so sehr in Frage stellen, dass ich bei der Post gelandet wäre.

 

Was hat sich in Ihrem Leben durch Ihre beiden Töchter verändert?

 

Ich habe mir ja zwei Töchter gewünscht, es hat mich unheimlich gefreut, dass es dann tatsächlich zwei Töchter geworden sind. Beide sind unheimlich gut erzogen – von Irma, meiner Ex-Frau.  Ich selbst wäre viel zu liberal gewesen. Ich habe sie nie zur Kunst gezwungen, wir haben aber ein Abkommen: Reisen wir gemeinsam, dann nehmen wir uns an einem Tag zwei Stunden Zeit für ein Kulturprogramm. Allerdings kann es auch so kommen wie vergangenes Jahr in England, wo ich das Programm umgeschmissen habe und wir zum Hunderennen gegangen sind.

 

Wie feiert Paul Renner Weihnachten?

 

Letztes Jahr bin ich mit meinen beiden Töchtern nach Mexiko gefahren. Heuer versuche ich wieder, meine Bibliothek aufzuräumen. Zwei Wochen, in denen ich mich nicht aus der Bibliothek rausbewegen werde. Allerdings: der Kühlschrank ist voll und der Weinschrank auch!

 

 

Renners Steckbrief: Geboren 1957 in Vorarlberg und auch dort aufgewachsen. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland. Kooperationen mit Hermann Nitsch, Medlar Lucan und vielen anderen. Lebt in Vorarlberg, Wien und Italien. Zwei Töchter.

 

Das Interview führte im Übrigen Angelika Drnek

Deine Meinung

  1. Auch hier wieder diese Arroganz - Menschen als Kunstobjekt zu bezeichnen...
  2. Jetzt hat er euch erwischt... Kunstobjekt Bregenzerwälder: Ob er da wohl recht hat?
  3. Schon sagenhaft, diese Arroganz!

    Toll, diese Menschen, die aus ihren lässigen Cities für ein paar Tage in den Bregenzerwald kommen, den Menschen hier erzählen, wie das wirkliche Leben läuft, was alles besser gemacht werden könnte bzw. was vollkommener Blödsinn ist und dann darüber jammern, wie eng und konservativ es hier ist. Dann schert man wie ein Volksschüler alle Wälder über einen Kamm, beleidigt noch schnell das gesamte Bundesland und um halb zwei an der Jösler-Bar kommt dann im Vollsuff der emotionale Zusammenbruch. Das ist lächerlich, lieber Paul

  4. Was wäre denn so ein spinniger Künstler ohne die normalen Leute? Gezielte Aussagen vom Renner zum Bregenzerwald sind diskutabel oder auch weniger. Je nach Sympathie zum Künstler. Angepasste Ruhige gibt es ja Millionen also freuen wir uns über solche unerwartete Wortmeldungen.
  5. ein bisschen extrem. Das mit der Jugend stimmt aber leider ?
  6. An Paul Renner!
    Ich bin überzeugt, du bist gern im Bregenzerwald und deine Meinung über den Bregenzerwald kann ich nicht einmal dementieren, nein ich teile sie sogar mit dir. Was Kunst und schönes ansich anbelangt, das liegt immer im Auge des Betrachters.
    Ich wünsche dir noch viel Erfolg und bis bald vielleicht im Jöslar.
    Ein Wäldar